Call for Papers arranca! #40: Scheitern

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Ever tried? Ever failed?

Nicht nur Herrschaftsprojekte scheitern – auch die Liste gescheiterter alternativer Gesellschaftsmodelle, Bewegungen und Politikformen ist weder kurz noch abgeschlossen. Was macht die Linke mit dem gigantischen Erfahrungsschatz des realexistierenden Misserfolgs, den sie seit der Pariser Commune angehäuft hat, und was könnte sie daraus machen? Sollen wir hoffen, die Erinnerung an die linken Desaster des 20. Jahrhunderts möge verblassen angesichts der gegenwärtigen, unleugbar miesen Performance der angeblich besten aller Welten? Oder finden wir einen Weg, beim immer dringender benötigten Vorschlag einer 'konkreten Utopie' das Gescheiterte mitzudenken und mitzudiskutieren? Was gehört auf den Müllhaufen der Geschichte, und welcher Geschichte bedarf der anbrechende neue Zyklus sozialer Kämpfe? Was ist gescheitert, oder auch: Was wird in absehbarer Zukunft mit Sicherheit scheitern?

Selber schuld!

Scheitern tun Sachen natürlich nicht nur im Großen. Wie sehen die Formen aus, in denen individuelles Scheitern gesellschaftlich verhandelt und individuell verarbeitet wird? Der harsche neoliberale Wind, der in den letzten Jahrzehnten durch die westlichen Gesellschaften fegte, hat vor allem für eines gesorgt: Im Zentrum steht nicht mehr die (notfalls gewaltsame) Nutzbarmachung Aller – stattdessen sind individuelles Scheitern und die disziplinierende Furcht davor mittlerweile zur Massenerfahrung geworden. Das hegemoniale Verständnis von Scheitern ist in zweifacher Weise verkürzt: 1. Über Erfolg und Misserfolg entscheidet einzig und allein das „permanente Tribunal des Marktes“. 2. Individuelles Scheitern stellt lediglich eine überwindbare Herausforderung auf dem Weg zum Markterfolg dar – Scheitern als Chance! Es existiert also ein Tabu individuellen Scheiterns, denn scheitern kann nur, wer sich nicht genügend anstrengt oder sich gar in der Erfolglosigkeit ausruht. Gleichzeitig treibt das sichtbare Scheitern der Anderen die Einzelnen vor sich her – vor allem seit auch die Mittelschicht dem Kreis der potenziell Betroffenen angehört.

Die verallgemeinerte Möglichkeit zum Erfolg am Markt fällt den Einzelnen als Bürde uneingeschränkter Selbstverantwortung wieder auf die Füße: Wer scheitert, tut dies aufgrund falscher Moralvorstellungen und falschen Verhaltens. Bei der 'Unterschicht' wird das Scheitern gar als kulturelle Eigenschaft diagnostiziert, die sich aufgrund eines Übermaßes an staatlicher Fürsorge gebildet habe. Galt Scheitern, beispielsweise in Form von Armut, im Fordismus noch als Problem, das nicht nur gesellschaftlich beseitigbar ist, sondern auch beseitigt werden muss, so hat es sich mit dessen Krise von einem sozialen zu einem individuellen Problem verschoben – Staat und Gesellschaft sind damit sozusagen aus dem Schneider.

Wie können emanzipatorische Alternativen zur derzeitigen Anrufung individueller Handlungsfähigkeit – eigentlich ja ein ursprünglich progressives Programm – aussehen? Wie können wir verhindern, dass die Gleichsetzung von Scheitern mit dem Versagen am Markt die Einzelnen einschnürt? Wie kann also ein Sprechen über Scheitern aussehen, das sowohl handlungsfähig machen will, als auch die gesellschaftlichen Grenzen von Handlungsfähigkeit sichtbar und angreifbar machen will?

Dressed for success

Doch auch auf der individuellen Ebene gibt so manches Scheitern eher Anlass zur Freude als zum Mitleid: Wir denken an Identitätskonstruktionen, Gender-Performances, klare Unterscheidungen und deutliche Abgrenzungen, die glücklicherweise immer prekär sind und nie hundertprozentig gelingen. Wie steht es um die Parodie und andere Strategien, das Scheitern solcher Konstruktionen darzustellen und zu provozieren? Welche scheiternden Vorführungen machen Spaß, welche tun weh?

Neben den genannten sind sicher noch weitere spannende und fruchtbare Perspektiven auf das Scheitern möglich - wir sind gespannt auf Eure Gedanken!

 

Deadline verschoben: Die neue Deadline für die Artikelvorschläge ist der 8. April, die ausgearbeiteten Artikel müssen am 7. Mai fertig sein.

Redaktion arranca!, Januar 2009

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