Dresden 2010 – eine erste Bilanz

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Der Text ist ein Vorabdruck aus der im Frühjahr 2010 erscheinenden arranca!

Geschafft!

Am 13. Februar 2010 gelang es erstmalig, den jährlichen Marsch tausender Neonazis durch Dresden zu verhindern. Möglich wurde dieser Erfolg durch ein breites, von der radikalen Linken über die Gewerkschaften bis zu Teilen der SPD reichendes Bündnis, das sich auf Massenblockaden als Konzept einigen und deren konsequente Durchsetzung organisieren konnte. Über 10.000 Menschen beteiligten sich an den Blockaden, selbst der Anteil der DresdnerInnen überstieg die Erwartungen bei weitem. Der Polizei blieb angesichts des entschlossenen Handelns der BlockiererInnen nichts anderes übrig als den geplanten Großaufmarsch auf eine für die angereisten Neonazis frustrierende Kundgebung zu beschränken. Angesichts ihres Scheiterns zankt sich die Nazi-Szene nun um die zukünftige Form des braunen Gedenkspektakels. Eins ist aber jetzt bereits sicher: An ihren Erfolg von 2009, als sie sich mit über 7.000 Teilnehmern, von der Polizei weiträumig gegen jeden Protest abgeschirmt, ungehindert durch Dresden bewegen konnten, werden die Nazis nicht mehr anknüpfen können.

Aber Dresden!

Auch in der konservativ dominierten Dresdner Lokalpolitik haben die Blockaden in der Neustadt deutliche Spuren hinterlassen, wozu die positive Berichterstattung über den „Sieg der Zivilgesellschaft“ in den sächsischen und überregionalen Medien gewiss beigetragen hat. Die als rein symbolpolitische Alternative für brave BürgerInnen gedachte Menschenkette geriet trotz ihrer hohen Teilnehmerzahl klar ins Hintertreffen, sodass die Oberbürgermeisterin bereits jetzt die „Einbeziehung“ des linken Bündnisses in die Planungen für 2011 angedroht hat. Wenn die Menschenkette auch für die Verhinderung des Aufmarsches keine Rolle spielte, so zeigt die Rede der Oberbürgermeisterin, dass die ahistorische und selbstbezogene Gedenkpolitik der Stadt von einer reflektierteren Form des Erinnerns abgelöst wurde. Dies ist ganz klar ein Verdienst eines pragmatischen Antifaschismus, der sich nicht in der Maximierung der im Ansatz durchaus richtigen Kritik erschöpft, sondern gesellschaftliche Veränderungen tatsächlich erreichen möchte.
Positiv erwähnt werden müssen auch die Proteste in den Jahren zuvor, die ebenfalls zum Erfolg beigetragen haben. Trotz der nach unserer Ansicht für Massenproteste gegen Nazis kontraproduktiven diskurskritischen Ausrichtung, ist der Vorwurf, den Nazis den Weg „freigespült“ zu haben, ignorant. Es gibt durchaus einen Unterschied zwischen (möglicherweise falscher) linker Politik und dem, was Polizei und Behörden in den letzten Jahren für die Nazis getan haben.

Danke, Nazis!

Paradoxerweise haben die Nazis selbst den Hebel dafür geliefert, dass es jetzt anders wird. In der Erwartung, den reaktionären Gedenkdiskurs der Stadt für ihre Propaganda ausbeuten zu können, haben sie unfreiwillig die bürgerlichen Träger der Dresdner Erinnerungskultur zu einer Neupositionierung gezwungen. Allerdings führte nicht der bis 2010 jährlich größer werdende Aufmarsch selbst zu einem Umdenken in Dresden, sondern erst der entschlossene Protest, der das braune Gedenken skandalisierte. Die offizielle Erinnerung an die Bombardierungen ist nun jedenfalls nicht mehr ohne expliziten Verweis auf den Nationalsozialismus möglich, der 13. Februar 1945 erhielt seinen historischen Kontext – Deutschlands Vernichtungskrieg und die Shoah zurück. Im seit vielen Jahren tobenden Streit um „deutsche Opfer“ ist das zumindest ein wichtiger Schritt.

Bitte, Nazis!

Für die Nazi-Szene war die massive Behinderung ihres letzten regelmäßigen Großaufmarschs (und spektrenübergreifenden Lieblingsevents) ein harter Schlag. Konfliktlinien, die vor dem 13. Februar 2010 durch das Gefühl, unaufhaltsam stärker zu werden, verdeckt wurden, brechen nun in erstaunlicher Deutlichkeit auf – in den Nazi-Foren beschimpft man sich, dass die Fetzen fliegen.
Waren es in diesem Jahr trotz der zu erwartenden Proteste immerhin noch 6.400 Nazis, so wird die Mobilisierung in den nächsten Jahren für die JLO deutlich schwieriger werden. Weichen die Nazis auf klandestin organisierte Aktionen aus oder forcieren unter dem Druck der ‚Autonomen Nationalisten’ eine militante Strategie, geht ihnen die Masse verloren, die ihre bisherige Stärke und die Anziehungskraft des Dresdner Aufmarschs ausgemacht hat. Versuchen sie so weiter zu machen wie bislang und scheitern damit noch einmal, kehrt ihnen der aktionistischere Teil den Rücken. Dieses Dilemma muss von der antifaschistischen Bewegung ausgenutzt werden.

Ungehorsam!

Die im Unterschied zu Jena, Köln und Leipzig gegen den erklärten Willen der Stadtoberen und ihrer Behörden durchgesetzten Dresdner Blockaden haben eine öffentliche Diskussion über die Notwendigkeit und die Legitimität zivilen Ungehorsams ausgelöst. Positionen wie die des erzkonservativen und totalitären Chemnitzer Politologen Eckehard Jesse, der die zivilgesellschaftliche Verhinderung des Naziaufmarschs als „Schaden für die Demokratie“ bezeichnete, sind momentan in der Debatte nur Randphänomene. Hinter der Verteidigung der Meinungsfreiheit steht bei Leuten wie Jesse allein der elitäre Ekel vor der „Macht der Straße“.
Mit dem Erfolg vom 13. Februar ist die Strategie eines Teils der linken antifaschistischen Bewegung, sich um einer effektiven Verhinderung von größeren Nazi-Veranstaltungen willen in zivilgesellschaftlichen Bündnissen zu engagieren, aufgegangen. Die Befürchtungen, die radikale Linke wird in solchen Bündnissen a) benutzt, b) an den Rand gedrängt oder c) gar bis zur Unkenntlichkeit integriert, sind manchmal richtig, aber meist falsch. Es kommt darauf an, ob sich antifaschistische Gruppen um eine faire Zusammenarbeit bemühen und innerhalb eines Bündnisses verlässliche Partner sein wollen.
In dieser Hinsicht können die Blockaden in Dresden ein Vorbild für andere Städte sein und das Bündnis als Modell für eine akzeptable Zusammenarbeit zwischen linkem Antifaschismus und zivilgesellschaftlichem Anti-Nazi-Engagement dienen.

Wer war’s?

Das Bündnis „Nazifrei – Dresden stellt sich quer!“ ging aus einer Initiative der Aktionskonferenz im November 2009 hervor. Diese Konferenz wurde von „No pasarán!“, einem bundesweiten Zusammenschluss antifaschistischer Gruppen, organisiert, um zivilgesellschaftlichen Initiativen, Parteien, Gewerkschaften und Jugendorganisationen die Bereitschaft zum gemeinsamen Handeln zu signalisieren und das Konzept der Massenblockaden vorzustellen. Dem „Nazifrei“-Bündnis schlossen sich nach der Gründung zahlreiche Organisationen und Einzelpersonen an; in die Liste der UnterstützerInnen des Blockadeaufrufs hatten sich vor dem 13. Februar 2010 sogar über 2.000 Menschen und 600 Organisationen eingetragen. Die gesellschaftliche Breite des Spektrums war am Tag des Naziaufmarschs auch an den Blockadepunkten zu erkennen, denn die verschiedenen Plätze wurden von regionalen Bündnissen besetzt, die ähnlich zusammengesetzt waren wie „Dresden-nazifrei!“. Zu ihnen stießen zahlreiche (und im Laufe des Tages immer mehr) DresdnerInnen, die sich von den Drohungen der Polizei nicht einschüchtern ließen.

FelS-Fazit

Für FelS ist die gelungene Behinderung des zentralen Events der deutschen wie der europäischen Nazi-Szene durch die von einem breiten Bündnis getragenen Massenblockaden eine Bestätigung der langjährigen Bemühungen in diesem Politikfeld. Unser Ziel ist die Überwindung der (Selbst-)Isolation der zum Teil stark subkulturell orientierten Antifa und eine stärker politische-strategisch ausgerichtete Bestimmung von Aktionen wie Aktionsformen. Brennende Mülltonnen und Auseiandersetzungen mit der Polizei können natürlich zum Scheitern eines Nazi-Aufmarschs beitragen, sind aber nicht geeignet, um ein breiteres Spektrum zum Mitmachen zu bewegen. So schön auch die Bilder vehementen und kompromisslosen Protests sind, die solche Aktionen vermitteln, so wenig helfen sie in der alltäglichen politischen Arbeit mit Bündnispartnern. Antifa als Jugendkultur braucht einen Antifaschismus als breite politische Bewegung. Militantes Vorgehen gegen Nazis kann bei aller Legitimität nicht Ersatz so einer Bewegung sein.
Die Anziehungskraft des Bündnisses bestand aber nicht allein aus dessen Breite. Die klare Ankündigung, in Dresden Massenblockaden durchzuführen, von denen keine Eskalation ausgeht, hat entscheidend zu der grandiosen Mobilisierung im Vorfeld beigetragen. Dieser Aktionskonsens ist keine staatstragende Feigheit – im Gegenteil: Die BlockiererInnen nahmen ohne die Chance, rechtzeitig abhauen zu können, Polizeigewalt und Verfahren in Kauf, weil sie an den gemeinsamen Erfolg glaubten. Die Form des Protests war klar definiert und über den engen Rahmen organisierter Antifas hinaus öffentlich kommuniziert worden – im Unterschied zu vielen anderen Mobilisierungen wussten die TeilnehmerInnen worauf sie sich einlassen.

Wie weiter?

In den nächsten beiden Jahren entscheidet sich, ob der Dresdner Aufmarsch das wichtigste jährliche Großereignis der Nazi-Szene bleiben kann. Im Wesentlichen hängt dies vom gemeinsamen Handeln der antifaschistischen Bewegung und der Zivilgesellschaft ab. Gelingt es, den Aufmarsch noch einige Male zu be- oder gar zu verhindern, wird er in wenigen Jahren in seiner bisherigen Form jedenfalls Geschichte sein. Aus diesem Grund ist es wichtig, den Druck aufrecht zu erhalten und wieder und wieder nach Dresden zu fahren – bis mit dem Mist endlich Schluss ist. Für die antifaschistischen Gruppen im „Nazifrei“-Bündnis bedeutet dies, auch in den nächsten Jahren viel Arbeit in die Dresden-Mobilisierung zu stecken.

Mitmachen!

Der Erfolg von Dresden war das Ergebnis von monatelanger kontinuierlicher Arbeit vieler Gruppen – auch von FelS. Wenn Du Lust hast, in der AG Antifaschismus von FelS mitzuarbeiten, dann melde Dich per E-mail oder komm einfach zum monatlichen FelS-Stammtisch. Informationen zu früheren und zu unseren derzeitigen Projekten, zu unseren Vorstellungen von antifaschistischer Arbeit, Positionspapiere und aktuelle Nachrichten sind auf der Website von FelS und in der Zeitschrift „Arranca!“ zu finden.
Auch Spenden oder Fördermitgliedschaften sind natürlich jederzeit willkommen!

Spenden für die Dresden-Mobilisierung
Verwendungszweck: Dresden
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