Call for Papers // arranca! Nr.43

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Körperperspektiven

Körper sind mehr denn je Orte der Selbstinszenierung und Selbstverwirklichung: Diäten, Fitnesstraining, Make Up, Piercings, Tattoos, Schönheitsoperationen und Magenverkleinerungen. Erlaubt ist was gefällt, aber es muss auch den anderen gefallen. Die gesellschaftlichen Anforderungen an den perfekten Körper werden immer restriktiver; gleichzeitig wird es immer schwieriger, sich ihnen zu entziehen. Körper sind permanent Bewertungen und Normierungen ausgesetzt. Sie unterliegen historischen Wandlungsprozessen – was in der Renaissance schön war, muss heute längst nicht mehr als schön betrachtet werden – und sind gleichzeitig von kaum zu unterschätzender Wirkungsmacht. Soziale und kulturelle Eigenschaften wie charakterliche Merkmale werden in Körpern verortet, sie öffnen Türen und Türsteher_innenherzen oder führen schnurstracks in die nächste (rassistische) Polizeikontrolle.

Sie sind aber auch Orte des Widerstands. Dazu zählt nicht allein die Physis, sondern auch Auftritt, Haltung, Gang, Stimme. Körper können zu Orten der Rebellion werden, sie drücken Protest aus, sperren sich symbolisch und physisch für oder gegen etwas. Körper stellen sich queer. Körper sind Sammelpunkte, Veräußerungen und Orte der Einschreibung von biographischen Informationen, von Klassen- und Geschlechtssozialisation. Wie wirken beispielsweise Gesellschaft und Individuum zusammen, wenn es um Essprobleme oder Selbstverletzungen geht? Wie befreit man sich von den (negativen) Zuschreibungen, die der eigene Körper erfährt – durch sich selbst oder andere. Und wie kann ein individueller Weg dort auch zu einer politischen Strategie werden? Technologien beeinflussen die Gestaltung von Körpern sowohl in repressiver als auch in emanzipatorischer Weise: dieselben Technologien, die Intersexuelle noch im Kreißsaal in das binäre Geschlechtsschema pressen, können später die Möglichkeit der Emanzipation von ihrer »natürlichen« Geschlechtszugehörigkeit eröffnen. Sport ist untrennbar mit dem Körper verbunden, aber wann ist Sport Selbstermächtigung, wann Zurichtung? Verraten wir unsere Ideale, wenn wir ins Fitnessstudio gehen und sollten wir nicht eigentlich Torten essen gegen Sexismus und uns der Trägheit hingeben gegen den Hartz IV-Stress?

Bedeutet Sport treiben in der Konsequenz, sich »fit für Deutschland« oder verwertbar für den Arbeitsmarkt zu machen oder wird es angesichts der Individualisierung der Gesundheitsversorgung schlechthin zur Bedingung sozialer Akzeptanz? Wie ist das mit gesunder Ernährung? Und bedeutet »Mode« eigentlich immer eine Konsolidierung der herrschenden Körperdiskurse? Wie steht es mit dem Verhältnis zum Körper als Ware während der Sexarbeit? Wie geht eigentlich die Gesellschaft mit Krankheit um, und wie mit dem Alter – und wieso fällt einer_m eigentlich direkt nach Krankheit Alter ein und gleich danach Tod? Welche Rolle spielt der Körper in der Linken? Spricht die Tatsache, dass Menschen mit Behinderungen in der Linken immer noch nur wenig Platz finden nicht eher für einen an Leistung orientierten, normierenden Umgang mit dem Körper als für progressive Körperpraxen und -diskurse?

Egal, ob wir ihn als lästiges Anhängsel durch die Gegend schleppen oder uns in ihm unser Leben zu Eigen machen, ob wir ihn als gesellschaftlich konstruiert oder metaphysische Präsenz betrachten – fest steht: Der Körper ist immer mit dabei. Grund genug, sich eingehender mit ihm zu beschäftigen.

Neben den genannten sind sicher noch weitere interessante und wichtige Perspektiven auf Körper möglich ? wir sind gespannt auf Eure Gedanken! Einsendeschluss für Artikelideen ist Mittwoch der 23. Juni. Redaktionsschluss für die ausgearbeiteten Artikel ist der 20. August. Redaktion arranca! Juni 2010 P.S. Die zweite Nummer zum Thema 'Transformationsstrategien' erscheint Ende Juni.

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