Schottern, Blockieren, Hand in Hand – einig ist der Widerstand!

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Ein Rückblick auf den Castor 2010

Die Proteste in Wendland haben bis dato unbekannte Dimensionen angenommen: 50.000 bei der Großdemo und mehrere Zehntausende, die mit verschiedenen Aktionsformen den Castor blockiert haben. Die Aktionen gegen den Atommülltransport waren eine klare Absage an die Regierungspolitik und sie waren massiver und breiter denn je. Schottern, das organisierte Unterhöhlen der Schiene in großen Gruppen, hat sich erfolgreich in den Reigen der Massenaktionen im Wendland eingefügt.

Es war absehbar: Dieses Mal würde es heftiger werden, zu nah war der zeitliche Abstand zur Laufzeitverlängerung und zu groß die Wut gegenüber der Arroganz dieser Entscheidung. Schon am Freitag, als der Zug noch in Frankreich war, wurde er durch mehrere Blockaden verzögert. Es folgten vielfältige Aktionen in gesamten Bundesgebiet – von der Südblockade über Kletteraktionen und Blockaden – und letztlich fuhr der Zug mit über 11 Stunden Verspätung in Lüneburg ein.

Doch das war erst der Anfang. Für die relativ kurze Strecke im Wendland benötigte der Zug bis zur Ankunft am Dienstagmorgen im Salzstock Gorleben 41 Stunden. Das Erfolgskonzept war das gute Zusammenspiel der verschiedenen Aktionen. Durch die Koordination und Synchronität der Aktionsformen im Wendland passierte an verschiedenen Stellen zeitgleich so viel, dass die Polizei oft nur zuschauen konnte. Während am Sonntag ca. 4000 Personen früh morgens von verschiedenen Camps aufbrachen, um die Castorschiene zu schottern, besetzte die Kampagne Widersetzen einige Kilometer weiter die Gleise mit Sitzblockaden und hielt einen kilometerlangen Schienenabschnitt für gut 24 Stunden besetzt. Auch die Blockade von X-1000malquer auf dem letzten Straßenabschnitt in Gorleben wurde bereits am Sonntag errichtet.

Auf der Straßenstrecke gab es zusätzlich einen von Greenpeace einbetonierten LKW, die altbekannte und tonnenschwere Betonpyramide der Bäuerlichen Notgemeinschaft und verschiedene Kletter- und Abseil-Aktionen. Immer wieder gab es Traktor-Blockaden und andere Aktionen, die die Verlegung der Polizeieinheiten massiv behinderte und so ein wichtiger Teil des Gesamtkonzeptes waren. Bei der Räumung der Straßenblockade am Dienstag wurde das Zusammenspiel verschiedener Aktionslevel und -formen versinnbidlicht als skandiert wurde: "Schottern, Blockieren, Hand in Hand – einig ist der Widerstand."

Castor 2010 - das war die bisher längste Verzögerung, die sogar die Gewerkschaft der Polizei dazu bewegte, die Bundesregierung aufzufordern, die Laufzeitverlängerung zurückzunehmen. Es hat sich aber deutlich gezeigt, dass auch die Polizei die Zeichen der nicht erkannt hat. Sie war völlig überfordert und hat die deutlichen Signale, die in den letzten Tagen und Wochen in ihre Richtung gingen, nicht verstanden. Noch am Donnerstag hatten 57 Personen aus Politik, Uni, Schauspiel und Gewerkschaft in einem offenen Brief die Polizei aufgefordert: "Reagieren Sie nicht mit Gewalt auf die angekündigte Aktion (Castor Schottern). Setzen Sie auf Deeskalation, verzichten Sie auf den Einsatz von Schlagstöcken, Reizgasen und agent provocateurs. Verhindern Sie ein zweites "Stuttgart 21"!" (weiterlesen)

Ungeachtet dessen zeigte sich die Polizei wieder einmal von ihrer hässlichsten Seite und ging brutalst möglich vor allem gegen alle vor, die zum Schottern gekommen waren. Obwohl oder gerade weil von vornherein angekündigt wurde die Polizei nicht anzugreifen, wurden massiv Pfefferspray, Knüppel, Wasserwerfer, Schläge, Tritte und sogar Gasgrantaten eingesetzt. Die Folge waren zahlreiche gezielte Verletzungen: 950 Augenverletzungen durch Pfeffersprayeinsätze, 29 Kopfplatzwunden, 3 Gehirnerschütterungen und 16 Fingerbrüche durch brutale Polizeischläge, -tritte und Niederwerfen von AktivistInnen sowie 2 Schwerverletzte. Dass die Polizei auch sonst nicht viel von der Verhältnismäßigkeit der Mittel und der Beachtung bestehender Rechtsvorschriften hält zeigte sich auch an anderen Stellen. Französische, polnische und kroatische Aufstandsbekämpfungspolizisten, die zu Schulungszwecken eingeladen wurden, wurden rechtswidrig gegen Demontrant_innen tätig. Gleiches gilt für den Polizeisanitäter, der mit seinem Rucksack auf Schotter_innen eindrischt.

Glücklicherweise haben sich viele der Teilnehmehmer_innen auf die Gewalt der Polizei eingestellt und sich mit körperschützenden Materialien vor den Angriffen der Beamt_innen geschützt. Das hat schwerere Verletzungen verhindert und unseren Handlungsspielraum erweitert. Dennoch ist das Vorgehen der Polizei ein Skandal und muss in den nächsten Wochen weiterhin zum Thema gemacht werden.

Trotzdem sagen wir: Die Kampagne „Castor? Schottern!“ war ein Erfolg. Durch die Koordination und die Entschlossenheit der Teilnehmenden wurden Polizeiketten überwunden und die Schiene zeitweise gegen die Angriffe der Polizei verteidigt. Auf insgesamt über 150 Metern wurden massenhaft Steine aus dem Gleisbett entfernt, dazu gab es zahlreiche kleinere Aktionen an anderen Stellen. Auch wenn die Schiene nicht wie angestrebt komplett freischwebend geschottert wurde, so wurde doch der Zug behindert und die Polizei in einem Maße gebunden, das den anderen Aktionsformen den notwendigen Handlungsspielraum schaffte.

Alles in allem waren die letzten Tage im Wendland ein sehr deutliches Nein zu den politischen Entscheidungen, die für die Zementierung der Monopolstellung der Energieriesen sorgen und auf Jahrzehnte umwelt- und klimaschädliches wirtschaften den Weg frei macht. Ein „Weiter so!“ zu dieser Politik darf es nicht geben: Mit Castor Schottern haben wir nicht nur gezeigt, dass es möglich ist das Konzept des zivilen Ungehorsams auszuweiten. Wir haben es darüber auch geschafft einer antikapitalistischen Anti-Atom-Bewegung einen praktischen Ausdruck zu geben. Wir haben den Castor geschottert und blockiert! Für die Vergesellschaftung der Konzerne – besser heute als morgen!



An dieser Stelle möchten wir uns bei allen herzlich bedanken, die zum Gelingen der Proteste beigetragen haben:

  • Vielen Dank an all diejenigen, die die Camps aufbauten (und momentan wieder abbauen), tagelang gekocht haben und stets mit Rat und Tat zur Stelle waren. Ihr habt dafür gesorgt, dass die Proteste in dieser Dimension möglich wurden!
  • Dank geht auch an all jene, die uns so herzlich aufgenommen haben, Unterkunft zur Verfügung gestellt haben und das Wendland zu einem ganz speziellen Ort des solidarischen Miteinander gemacht haben. Wir kommen gerne wieder!
  • Vielen Dank an die Tausenden, die in den letzten Wochen und Monaten dafür gesorgt haben, dass die Castorproteste derart massenhaft wurde. Hunderte Aktionstrainings, Infoversanstaltungen, tausende verklebte Plakate und verteilte Flyer in ganz Deutschland und darüber hinaus – das war toll! Außerdem grüßen wir alle, die so entschlossen zum Schottern gekommen sind. Wir waren sehr beeindruckt und es hat viel Spaß gemacht mit euch diese Massenaktion zu rocken! Wir sehen uns an anderer Stelle wieder oder spätestens beim nächsten Castor-Transport.
  • Gute Besserung an alle, die von der Polizei verletzt wurden. Wir wünschen euch viel Kraft. Tausend Dank für die Unterstützung geht natürlich an die zahlreichen Sanis, an den Out-of-Action-Traumasupport und den EA.
  • Vielen Dank an alle, die uns begleitet haben und die Aktionen dokumentiert haben. Seien es die festen oder freien Journalist_innen, die Indymedia-Reporter_innen oder die unermüdlichen Moderator_innen des Radio Freies Wendland. Ohne euch wären wir nicht nur ziemlich desinformiert gewesen, sondern die Aktionen wären auch nicht in alle Welt übertragen worden.