Rechtspopulismus und bürgerliche Mitte - Gegen den alltäglichen Terror von Leistungskult und Leitkultur

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Aktionswoche gegen Rechtspopulismus 26.8. - 3.9.2011

Die Abgeordnetenhauswahlen werfen ihre Schatten voraus: am 27. und 28. August 2011 will die „Bürgerbewegung PRO DEUTSCHLAND“ in Berlin einen so genannten Anti-Islamisierungs-Kongress (kurz AIK) samt Demonstration veranstalten. Eine Woche später, am 3. September, kommt auf Einladung der Partei DIE FREIHEIT Geert Wilders nach Berlin. Wilders ist einer der wichtigsten Stichwortgeber des europäischen Rechtspopulismus, besonders die Anhänger der FREIHEIT feiern ihn wie einen Popstar. PRO DEUTSCHLAND und DIE FREIHEIT gehören zu einer europaweiten Bewegung, die mit vermeintlicher Islamkritik rassistische und nationalistische Hetze verbreitet. Ihr Gemisch aus Menschenfeindlichkeit, Verschwörungstheorien und Kampfrhetorik diente auch dem Attentäter von Oslo und Utoya als ideologische Rechtfertigung seiner Taten.

Rassismus und Sozialchauvinismus haben derzeit Hochkonjunktur – aber nicht nur unter europäischen Rechtspopulisten_innen. Quer durch alle gesellschaftlichen Schichten wächst das Bedürfnis nach Abgrenzung: Lohnabhängige gegen Erwerbslose, selbsternannte Leistungsträger_innen gegen vermeintlich faule Hartz-IV-Empfänger_innen, und – vor allem – Herkunfts-Deutsche gegen das Zerrbild “unproduktiver Menschen mit Migrationshintergrund”. Das Phänomen ist nicht neu, Ausgrenzung gehört zum kapitalistischen Alltag. Aber mit der anhaltenden Krise, die auch westliche Staaten erschüttert, hat sie wieder deutlich an Fahrt gewonnen.

Die Thesen Thilo Sarrazins wurden zu Recht als rassistisch und sozialchauvinistisch kritisiert. Das eigentliche Problem aber ist, dass viele von Sarrazins Anliegen längst gesellschaftlicher Konsens und herrschende Politik sind: Alle müssen verwertbar sein und dem Standort dienen. Wer als „unnütz“ abgestempelt wird, hat nichts zu lachen. Wer nicht ins Bild der weißen deutschen Mehrheitsgesellschaft passt, wird benachteiligt und ausgegrenzt. Soziale Rechte werden zunehmend als nationale Privilegien verstanden und verteidigt. Politik und öffentliche Meinung erschöpfen sich immer wieder in der Frage, wer gerade noch „dazu gehört“, und wer nicht. Der ehemals rechte Kampfbegriff einer „deutschen” oder “abendländischen Leitkultur“ geistert inzwischen durch sämtliche Medien, und ist parteiübergreifend akzeptiert. Und selbst wo noch gestritten wird, ob „der Islam“ nun „zu Deutschland gehört“ (Bundespräsident W.) oder nicht (Innenminister F.), ist schon entschieden, dass „wir“ es sind, die über Anerkennung, Teilhabe und Abschiebung entscheiden.

Rechtspopulist_innen versuchen aktuell, genau diese Abgrenzungsreflexe zu radikalisieren. Sie knüpfen an bestehende rassistische und autoritäre Ressentiments an, ebenso wie an die ausgrenzende Politik bürgerlicher Parteien. Politiker_innen von CDU/CSU spielen regelmäßig und gekonnt auf der Klaviatur des Rassismus. CSU-Chef Seehofer darf ungestraft erklären, er werde „bis zur letzten Patrone“ gegen eine unterstellte "Zuwanderung in deutschen die Sozialsysteme“ kämpfen. Fleißig unterstützt von den meisten Medien, fordern CDU-Politiker_innen drakonische Strafen gegen "Integrationsverweigerer" und "kriminelle Ausländer". In kulturkämpferischer Manier wird der "christliche Charakter" der Bundesrepublik betont, und damit "der Islam" als "das Fremde" markiert. Auch die SPD-Führung will von der rassistischen Anziehungskraft des Genossen Sarrazin profitieren, anstatt ihn aus der Partei zu werfen. Populistische Rhetorik des "starken Staates" und Hetze gegen vermeintliche "Leistungsverweigerer" haben den Segen der Parteivorderen und vieler Parteigliederungen. Die GRÜNEN inszenieren sich gerne als Partei „kultureller Toleranz“, dabei sortiert auch ihr geplantes „Punktemodell“ Migrant_innen nach Nützlichkeit für den Standort Deutschland. CSU-Hardliner Beckstein steht hier Pate: "Wir brauchen mehr Ausländer die uns nützen, weniger die uns ausnützen." Das menschenverachtende Kriterium der ökonomischen Verwertbarkeit ist also nicht nur der FDP in Fleisch und Blut übergegangen. Der LINKEN gelingt es nicht, sich deutlich gegen diese Große Koalition abzusetzen. Sie gibt sich im Wahlkampf sozial und solidarisch, hat als Regierungspartei aber die gleiche Politik zu verantworten: Reihenweise Abschiebungen, Gängelungen und Anpassungsdruck durch Ämter und Behörden.

Rechtspopulistische Parteien greifen diese gesellschaftlichen Trends auf, und greifen insbesondere auf Sarrazins Thesen zurück. So steht der Wahlkampf und auch die geplante Demonstration von PRO DEUTSCHLAND am 28.8. unter dem Motto „Wählen gehen für Thilos Thesen“. DIE FREIHEIT wiederum bewirbt ihr Wahlprogramm mit dem von Sarrazins Buchtitel abgeleiteten Motto „Damit Deutschland sich nicht abschafft“. Die Erfahrung aus vielen europäischen Ländern zeigt, dass Rechtspopulist_innen eine reale Chance haben, die jeweilige nationale Politik entscheidend zu beeinflussen. Das Ergebnis ist eine in allen Punkten – Sozialleistungen, Gleichberechtigung, Arbeitsrecht etc. – reaktionäre Politik, die mit vorgeblich „liberalen“ Werten begründet wird, und den gesellschaftlichen Diskurs nach rechts verschiebt.

Die linksradikale Auseinandersetzung mit rechtspopulistischer Ideologie steckt noch in ihren Anfängen. Deshalb wollen wir die Woche zwischen AIK und Wilders-Besuch nutzen, um unsere Kritik zu vertiefen: bei Informations- und Diskussionsveranstaltungen, aber natürlich auch auf der Straße. Wir werden die Rassisten-Demo im Rahmen des AIK blockieren. Wir werden den Rechtspopulisten, die ihren Star Geert Wilders abfeiern wollen, in die Suppe spucken. Rechtspopulistische Veranstaltungen und Parteien, das zeigen spätestens die Anschläge in Norwegen, müssen bekämpft werden! Doch gleichzeitig stellen wir uns unversöhnlich gegen eine Gesellschaftsordnung, die rassistische Hetze und die Abwertung „unnützer“ Menschen überhaupt erst hervorbringt. Gegen ein System, in dem nach oben gebuckelt und nach unten getreten wird, das gnadenlose Konkurrenz und absolute Verwertbarkeit aller Menschen einfordert, setzen wir unsere Vision eines selbst bestimmten Zusammenlebens.

Solidarität mit den Betroffenen rassistischer und sozialer Ausgrenzung!
Gemeinsam gegen Rechtspopulismus, Wilders und AIK!
Für ein Leben ohne Kapitalismus!

Termine des Bündnisses gegen Rassismus und Sozialchauvinismus:

26. August 2011 | 18 Uhr | Boxhagener Platz:
Demonstration „Freiheit ist nicht wählbar! Gegen rassistische Hetze und soziale Spaltung – für eine solidarische Gesellschaft“

28. August 2011 | 10 Uhr | Potsdamer Platz:
Rassistische Demo von PRO DEUTSCHLAND blockieren!

31. August 2011 | 19:30 Uhr | tba
Podiumsdiskussion: „Islam“ – „Abendland“ – „Kulturmarxismus“: Die populistische Rechte zwischen Wahn und bürgerlicher Mitte. Mit Floris Biskamp, Georg Seeßlen (angefragt) und TOP B3rlin

Update!
3. September 2011 | 12 Uhr | Hotel Maritim, Stauffenbergstr. 26
„Die Freiheit nehm’ ich mir. – Wilders blockieren!"

Twitter: http://twitter.com/#!/NoWildersBerlin

Weitere Infos und Termine:
Bündnis gegen Rassismus und Sozialchauvinismus - http://bgrs.de.vu/
Kampagne „Zusammen handeln!“ - http://zusammenhandeln.blogsport.eu/