Kein BBI-Asylknast in Schönefeld!

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Flüchtlingsaktivist_innen übergaben Protestnote an Innenministerium

Am vergangenen Dienstag, 24.1.2012, übergaben Flüchtlingsaktivist_innen vom Bündnis gegen Lager Berlin/Brandenburg beim Innenministerium (BMI) in Berlin-Moabit eine Protestnote gegen die Einrichtung eines Asylgefängnisses auf dem neuen Großflughafen Berlin-Brandenburg (BER). Mit der Übergabe sollte das direkte Gespräch mit dem Ministerium gesucht werden, welches am Flughafenasylverfahren festhält und den Bau eines Gewahrsams für Asylsuchende auf dem neuen Flughafen Schönefeld angeordnet hat. In dem Brief heißt es: „Die Durchführung des Flughafenasylverfahrens führt zu zahlreichen Verstößen gegen die Genfer Flüchtlingskonvention und letztendlich auch zu Todesfällen, die vom Gesetzgeber und dem Bundesministerium des Inneren bzw. seiner untergeordneten Behörden zu verantworten sind.“ Ein Gespräch wurde heute verweigert, alle zuständigen MitarbeiterInnen ließen sich verleugnen.

Schon im Dezember wurde eine ähnliche Protestaktion am Amtssitz des Regierenden Bürgermeisters von Berlin durchgeführt. Anders als heute beim BMI, wurde von der Berliner Regierung wenigstens die Kritik angehört und diskutiert. Von Wowereit hieß es damals, das BMI würde enormen Druck ausüben. Obgleich die Länder Berlin und Brandenburg maßgeblichen Anteil am Bau und Betrieb des Flughafens haben und Brandenburg auch die Kosten des Asylgefängnisses und der Verfahren trägt, wird weiterhin Verantwortungspingpong gespielt.

Am 20. Januar kritisierten Flüchtlingsräte, Kirchen und Wohlfahrtsverbände in einer gemeinsamen Stellungnahme den Neubau auf dem BER und forderten das Flughafenverfahren abzuschaffen. Neu ist die Kritik am Flughafenverfahren, das an fünf deutschen Flughäfen Anwendung findet, nicht. Schon 1999 rügte das UNHCR die Inhaftierung von Asylsuchenden (auch Minderjährigen) und die Beschleunigung der Asylverfahren. Am vergangenen Donnerstag war der Knast im Berliner Abgeordnetenhaus Thema sein.

 

Offener Brief an das Bundesministerium des Inneren
Protestnote gegen die Einrichtung eines Asylgefängnisses auf dem neuen Großflughafen Berlin-Brandenburg (BER)

24.01.2012

Sehr geehrter Herr Fritsche,
das Flughafenasylverfahren wird seit Jahren von zivilgesellschaftlichen Gruppen kritisiert1, die auf Grund der zahlreichen Mängel, die dieses Verfahren aufweist, seine Abschaffung fordern. An sämtlichen Standorten, an denen es angewendet wird, hat es sich nicht nur als unfair, teuer und unnötig erwiesen, sondern es gibt viele gut dokumentierte Fälle, in denen die Beurteilung rechtswidrig war und unmenschliche Konsequenzen zur Folge hatte. Selbstverständlich ist es lediglich möglich, einen kleinen Prozentsatz der brutalen Fehlentscheidungen in letzter Konsequenz zu dokumentieren, sodass von einer vielfach höheren Dunkelziffer ausgegangen werden muss.

Die Durchführung des Flughafenasylverfahrens führt zu zahlreichen Verstößen gegen die Genfer Flüchtlingskonvention und letztendlich auch zu Todesfällen, die vom Gesetzgeber und dem Bundesministerium des Inneren bzw. seiner untergeordneten Behörde “Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF)” zu verantworten sind.

Das Flughafenasylverfahren ist Teil eines umfassenden Gesetzespaketes zur Abschreckung von Flüchtlingen. Ersonnen wurde es 1992, auch in Konsequenz der Umwälzungen in den ehemaligen Warschauer-Pakt-Staaten. Neu gewonnene Reisefreiheit und verständlichen Fluchtgründen wurde mit Abschreckung und institutioneller Diskriminierung begegnet. Innerhalb der Europäischen Union hat die Bundesrepublik Deutschland federführend an der Bekämpfung des Rechts auf Bewegungsfreiheit gewirkt. Zur Zeit ist es wieder so, dass die Bundesrepublik Deutschland die restriktivste Haltung innerhalb der Europäischen Union einnimmt:
Selbst die Europäische Kommission fordert mehr Asylsolidarität2. Das Bundesministerium des Inneren fordert derweil vom Land Brandenburg ein juristisch fragwürdiges Flughafenasylverfahren, weil „ein auch nur vorübergehender Verzicht auf das Flughafenasylverfahren die deutsche Verhandlungsposition schwächen könnte.3
Mit anderen Worten: Das Bundesministerium des Inneren will Flüchtlinge gefangen halten, um erstens eine Abschreckungswirkung zu erzielen und zweitens um sie als Begründung für ihre Verhandlungsposition auf EU-Ebene zu angeben zu können. Ein weiterer Zynismus. Das Bundesministerium des Inneren ist maßgeblich dafür verantwortlich – sowohl in den Jahren 1992/1993 als auch jetzt, 2011/2012. Und dies sowohl für das Asylrecht in der Bundesrepublik Deutschland als auch für die Verschärfungen innerhalb der gesamten Europäischen Union. Die Weltlage fordert ein Umdenken in der Flüchtlingspolitik! Die deutschen Sonderregelungen müssen fallen anstatt zum europäischen Standard zu werden.

Im Einzelnen:
Das Flughafenasylverfahren ist unfair. Die hastige Bearbeitung der Fälle durch die von dem Bundesministerium des Inneren geführte Behörde “Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF)” führte zu gut dokumentierten Fehlentscheidungen. Die Ursachen dafür sind teilweise verfahrensimmanent und teilweise durch eine schlechte bzw. tendenziöse Arbeit des BAMF bedingt.4 Die zuständigen Bearbeiterinnen und Bearbeiter entscheiden in sehr kurzer Zeit anhand von Länderlisten und anderen pauschalen Routinen. Zudem gibt es keine unabhängige und offenbar auch keine funktionierende interne Kontrolle über die Arbeit der zuständigen Entscheider und Entscheiderinnen5. Die Definition, dass die Freiheitsentziehung am Flughafen keine sei und deswegen auch keine sonst notwendige richterliche Haftprüfung notwendig ist, ist zynisch. Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in einem Urteil festgestellt, dass das Zurückhalten von Menschen auf einem derart begrenzten Raum als Freiheitsentziehung im Sinne der Europäischen Menschenrechtskonvention gewertet werden musste6. Die notwendige soziale Unterstützung der Betroffenen wird – auch das ist unfair – zu einem großen Anteil aus Spenden humanitärer Organisationen geleistet werden müssen. Es kann nicht sein, dass eine systematisch geplante und durchgeführte Grundrechtsbeugung von der Zivilgesellschaft aufgefangen werden muss. Zudem ist dies nur ansatzweise machbar.

Das Flughafenverfahren ist teuer. Die Gebäude für das Flughafenasylverfahren werden dem Hochsicherheitstrakt einer regulären Justizvollzugsanstalt ähneln7.

Das Flughafenverfahren ist unnötig. Aus der Bundestagsdrucksache 16/12742 wird ersichtlich, dass es keinen schlüssigen Zusammenhang zwischen der Anwendung bzw. Nichtanwendung dieses Verfahrens und der Anzahl so genannter “offensichtlich unbegründeter Fälle” gibt8.

Das Flughafenasylverfahren hat rechtswidrige und unmenschliche Konsequenzen zur Folge. Einem derart übereilten Verfahren ist es immanent, das auf Grund mangelnder Berücksichtigung der individuellen Fluchtsituation der Betroffenen folgenschwere Fehlurteile getroffen werden. Immer wieder werden krasse Fehlentscheidungen mit ihren Auswirkungen gut dokumentiert9. Dabei muss man sich darüber im Klaren sein, dass nur ein minimaler Prozentsatz der zu unrecht als “offensichtlich unbegründet” Abgeschobenen die Möglichkeit hat, die Fehlentscheidung revidieren zu lassen. Dazu muss die Person, die nach der ungerechtfertigten Abschiebung erneut Verfolgung erleidet:

  • diese überleben,
  • diese dokumentieren oder anderweitig glaubhaft machen können
  • anschließend eine deutsche Botschaft oder wieder – ohne Genehmigung – das Territorium der Bundesrepublik Deutschlands erreichen und
  • letztlich dort eine positive Beurteilung erhalten.


Wir fragen das Bundesministerium des Inneren, vertreten durch Herrn Staatssekretär Klaus-Dieter Fritsche:

  • Welche Abteilung innerhalb des Bundesministeriums des Inneren führt die Aufsicht über das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge?
  • Welche Abteilung und welcher Mitarbeiter des Bundesministerium des Inneren hat die Zahl von 300 Fällen für das Flughafenasylverfahrens an dem in Bau befindlichen Flughafen „BER Flughafen Berlin Brandenburg“ errechnet? Bitte nennen und erläutern Sie die angewendete mathematische Methode.
  • Wie kann das BAMF sicher stellen, dass eine Fehlentscheidung anschließend korrigiert werden kann?
  • Existiert eine unabhängige Evaluierung des Flughafenasylverfahrens?
  • Wer ist für das Bundesministerium des Inneren bei der Europäischen Union für die Aushandlung eines EU-weit gültigen Flughafenasylverfahrens zuständig?

Wir erwarten ihre Antwort!


Mit freundlichen Grüßen
Bündnis gegen Lager – Berlin/Brandenburg