Call for Papers: arranca! Nr. 46 "Internationalismus"

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Seit den Aufständen des sogenannten arabischen Frühlings und dem Ausbruch mehr oder weniger massiver sozialer Kämpfe im krisengebeutelten Europa fordern viele Flugblatt- und Zeitungs-autor_innen der Republik einen „Neuen Internationalismus“. Doch auch über ein Jahr nach Beginn der Revolten will sich eine internationalistische Praxis nicht so recht einstellen, allen gelungenen Abendveranstaltungen, Solidaritätsaufrufen und -demonstrationen zum „arabischen Frühling“ und zu den Kämpfen gegen die Austeritätspolitik in Südeuropa zum Trotz. In der arranca! Nr. 46 möchten wir dieses Phänomen näher in Augenschein nehmen und fragen, warum es heute so schwierig zu sein scheint, eine linke (Alltags-)Praxis internationalistischer Solidarität zu entwickeln.

Das Bekenntnis zum Internationalismus gehört seit den Anfängen der Arbeiter_innenbewegung im 19. Jahrhundert weltweit zum Kern linker Paradigmen. Dass sich die herrschenden Verhältnisse nicht in einem Land alleine, sondern nur global umwälzen lassen und die unterdrückten Massen aller Län-der im Kampf um ihre Emanzipation daher grenzübergreifend an einem Strang ziehen müssen, war spätestens seit der Gründung der Internationalen Arbeiterassoziation in den 1860er Jahren common sense aller sozialistischen Parteien. Die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts sollte diese Haltung jedoch nicht überdauern. Der „Burgfrieden“-Sündenfall der deutschen Sozialdemokratie bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs, die sowjetische Doktrin vom „Sozialismus in einem Land“ und der Hitler-Stalin-Pakt setzten dieser Tradition ein jähes Ende. An ihre Stelle trat nach dem Zweiten Weltkrieg ein anti-imperialistischer Internationalismus, der sich mit den nationalen Befreiungsbewegungen der revol-tierenden Kolonien solidarisierte. Die auf dieser Haltung beruhende Soli-Arbeit zur Unterstützung der antikolonialen Kämpfe von Vietnam bis Nicaragua konnte sich in beiden deutschen Staaten bis zum Ende der Achtziger Jahre spektrenübergreifend großer Unterstützung erfreuen.

Verschiedene Prozesse beendeten diese Konjunktur internationaler Solidarität: Die Romantisierung der Befreiungsbewegungen, die damit verbundene Projektion der eigenen revolutionären Hoffnungen und das darauf folgende Aufschlagen auf den Boden der Realität, der Siegeszug des Neoliberalismus und die zunehmende Professionalisierung der Solidaritätsarbeit durch Nicht-regierungsorganisationen. Die im Kielwasser des antinationalen Umdenkens der undogmatischen Linken der BRD Anfang der Neunziger entstehende antideutsche Kritik erledigte dann den Rest internatio-nalistischer Bestrebungen. Aber wie passt eigentlich die in den 90ern aufkommende Chiapas-Soli-Bewegung in diese Chronologie?

Ist die deutsche Linke aufgrund dieser Erfahrungen so nachhaltig traumatisiert, dass sie den Blick über den nationalen Tellerrand nicht mehr wagt? Oder ist sie gar über die Jahre national borniert geworden? Ist zudem der (nicht zuletzt in der arranca! stark gemachte) Appell der späten Neunziger, endlich wieder auf die sozialen Kämpfe in der BRD Bezug zu nehmen und sie interventionistisch zu begleiten, über sein Ziel hinausgeschossen? Warum fällt es der deutschen radikalen Linken – trotz der Rolle der Bundesrepublik bei der Durchsetzung des menschenverachtenden Kürzungsorchesters in Griechenland und Spanien – so schwer, sich eine adäquate Politik einfallen zu lassen? Ist unser zwar post-, aber immer noch koloniales Brett vorm Kopf in Wirklichkeit so groß, dass wir zu einer echten Solidarität mit den Menschen südlich des Mittelmeers gar nicht in der Lage sind?

Inwiefern bestimmt der koloniale Blick die Perspektiven und Reaktionen auf soziale Bewegungen und Aufstände anderswo? Bahnt sich mit dem arabischen Frühling, den Bewegungen in Athen, Oakland, Madrid und andernorts ein neuer Zyklus globaler Kämpfe und auch globaler Vernetzung an?

Sind die hiesigen Krisenproteste und die damit einhergehenden europäischen Vernetzungen, M31 und Blockupy, ein Indiz dafür, dass auch die deutsche Linke ihre internationalistische Kältestarre überwindet? Ist das Fehlen internationalistisch-solidarischer Bemühungen eigentlich wirklich ein „deutsches“ Problem – bzw. wie sieht internationalistische Zusammenarbeit in anderen Ländern aus? Ist die politische Verschiebung von einer internationalen Solidaritätsarbeit zu AntiRa-Arbeit, die den rassistischen (Alltags-)dreck vor der eigenen Haustür zu kehren versucht, nicht ein sinnvoller Schritt (gewesen)? Aber schließen sich diese Praxen überhaupt aus? Und nicht zuletzt: Ist der Begriff „Internationalismus“ noch brauchbar oder sollte ein neuer Begriff inklusive eines neuen Konzeptes her, der einer antinationalen Haltung Rechnung trägt? Wie können neuere Felder wie Klima und Klimamigration mit der „klassischen“ internationalistischen Solidaritätsarbeit verbunden werden? Und dann wieder zurück vor die eigene Haustür: Ist ethisches Konsumverhalten beispielsweise in Form von Fair Trade oder Boykott tatsächlich so ineffektiv wie sein Ruf?

Mit der arranca! Nr. 46 möchten wir also Blicke zurück und nach vorne richten, möchten die (langen) Momente des Scheiterns genauso wie die jüngeren Erfolgsbeispiele für internationalistische Solidari-tätsarbeit unter die Lupe nehmen und nach konkreten Vorschlägen für eine internationalistische Praxis fragen.

Wir freuen uns auf Eure Ideen und Vorschläge. Wie immer nehmen wir auch gerne Artikelvor-schläge entgegen, die sich mit Themen außerhalb des Schwerpunkts befassen.
Auch unkonventionellere Formen, wie Kurzgeschichten, Gedichte, Fotografien oder Zeichnungen sind willkommen.
Die Deadline für die Einreichung von Artikelvorschlägen ist am 13. Mai, fertige Artikel müssen bis zum 17. Juni bei uns sein.

arranca!-Redaktion, April 2012

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