Meute macht Beute

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oder: Weitere Schritte in Richtung eines Zahltags in Berlin 

Bericht über den Workshop zum Begleitschutz bei Jobcentern am 13. Juni 2009 im Haus der Demokrati, Berlin.

„Wenn wir mit einem Beistand zum Amt gehen, dann erleben die meisten Hartz IV-EmpfängerInnen viel mehr Freundlichkeit – oder anders ausgedrückt: Wir erleben besseres Benehmen der SachbearbeiterInnen.“ So berichten zwei Oldenburger „Zahltag“-Aktivisten.

Am Samstag war es endlich soweit: Vertreter der Oldenburger Gruppe ALSO (Arbeitslosen-Selbsthilfe Oldenburg) besuchten die Berliner AktivistInnen, die seit einigen Monaten versuchen die solidarische Organisierung unter Hartz IV-EmpfängerInnen voranzutreiben. Mit dabei: vier AktivistInnen von FelS.

Insgesamt 50 Interessierte versammelten sich im Haus der Demokratie und bildeten sich über die Möglichkeiten auf dem Amt „Solidarisch zu begleiten“ fort. Dass es sich dabei nicht nur um eine individuelle Unterstützung von Hartz IV-EmpfängerInnen, sondern um einen politischen Organisierungsansatz handelt, wurde anhand der kleinen Vorträge der Oldenburger und vor allem einem Dokumentarfilm deutlich. In diesem bildeten mehr als zehn Personen einen Beistand und begleiteten einen ALG-II-Empfänger zur ARGE in Oldenburg. Im Büro des Sachbearbeiters, einem den Aktivisten gut bekannten und repressiven Mitarbeiter der Oldenburger ARGE, verkündeten Betroffener und Beistand: „Wir bleiben hier bis hier und heute dem Familienvater das Geld ausgezahlt wird.“ Der Film endet mit einem Happy End: das Geld konnte eingefordert und damit deutlich gemacht werden, dass es möglich ist eine solidarische Gegenmacht aufzubauen.

Doch was ist ein Beistand eigentlich? Ein Beistand ist eine Unterstützung, die sich Betroffene zu Ämtergängen organisieren können, so steht es im Sozialgesetzbuch (SGB). Der Beistand kann als Zeuge dienen, moralische Unterstützung geben und bei der Durchsetzung von Rechten helfen. Es geht darum solidarisch mit den Betroffenen zu handeln, nicht für sie, so betonten die Referenten. Auch reicht es, wenn man mitgeht und sagt „Ich bin der Beistand“, weder Name noch Ausweis müssen kundgetan werden. Diesem widersprechen die Amt-Mitarbeiter häufig, aber zu Unrecht, so wurde in der Rechtssprechung immer wieder festgestellt. Einer der beiden Oldenburger drohte einmal, als der Sachbearbeiter seinen Ausweis als Beistand forderte, einfach mit Amtsanmaßung. Das hatte gewirkt, schon konnte der Beistand sitzen bleiben, ohne Personalausweis-Kontrolle, „ich nannte mich einfach Herr Beistand“, so der Aktivist. Dass die Beistände den Ämtern und Sachbearbeitern unlieb sind, wurde in den Geschichten der Oldenburger immer wieder deutlich: So versuchen Sachbearbeiter zu verhindern, dass Beistände aus mehreren Personen bestehen und das Büro plötzlich voll von Menschen ist. Aber auch das ist rechtens, erzählen die Oldenburger aus ihren Erfahrungen, denn „ein Beistand“, so das SGB, ist kein Zahlwort!

Ziel der Oldenburger ist es, eine Kultur zu entwickeln, in der Solidarität Praxis in konkreten Alltagssituationen wird. „Wir wollen eine Stimmung schaffen, in der jemand in Oldenburg vor dem Amt ruft, „kommt jemand bei mir mit rein?“, das wäre eine Kultur der Gegenwehr.“ Es muss einfach deutlich werden, dass, wenn hier heute nix bewilligt wird, dann am nächsten Tag die Leute mit der ALSO wiederkommen, sich einen Termin einfordern und das den Betroffenen zustehende Geld nicht nur fordern, sondern auch holen.“

Jeder Dienstag in Oldenburg ist Zahltag!

Seit letztem Jahr ist die ALSO, die inzwischen auf eine über 20 Jahre alte Geschichte zurückblicken kann, jede Woche Dienstag vor der ARGE präsent. Wichtig für diese konkreten Unterstützungsprojekte ist aber, dass die Begleitungen gut vorbereitet werden. Denn „viele Leute reden sich um Kopf und Kragen, weil sie nicht den Unterschied zwischen Friseur und ARGE kennen“. Wenn also Geld benötigt wird, dann wird in dem Gespräch aufm Amt nur darüber gesprochen, dass 1. Geld benötigt wird, 2. Warum und 3. angegeben, dass das Konto leer ist. Ist all das abgesprochen, dann geht es mit Beistand aufs Amt und wird dieses erst mit der geforderten Kohle verlassen.

Die Oldenburger machen deutlich, dass die Sachbearbeiter sich ständig ins Unrecht setzen, wenn sie Leistungen verweigern und dass es die Aufgaben von uns Aktivisten ist, diese Verwaltungsstrategie zu durchbrechen. Dabei können schon kleine Maßnahmen des Aufbegehrens Situationen komplett verändern. Wenn beispielsweise bei Hausbesuchen der Betroffene erstmal anordnet, dass die „unfreiwilligen BesucherInnen“ ihre Schuhe ausziehen müssten, dann „werden die Sachbearbeiter erstmal einen Kopf kleiner, verlieren an Sicherheit und Autorität“. Wichtig ist also immer wieder selber in die Offensive zu gehen und sich nicht klein machen zu lassen, und genau das versucht die ALSO mit Schulungen, Beratungen und Aktionen zu vermitteln.

Auf dem Workshop wurde vielen der Teilnehmenden, die zum Teil schon lange ALG II beziehen, deutlich, dass diese Struktur hier in Berlin fehlt. Als dieses eine Teilnehmerin am Samstag beklagt, wurde schnell von anderen Workshop-BesucherInnen beigepflichtet und gesagt, „na, deshalb sind wir doch hier, lass uns so was wie die ALSO gründen.“
Doch das braucht Zeit und eine klare Planung. Deswegen gingen wir aus diesem Workshop erstmal mit zwei Terminen in der Tasche nach Hause: Es wird am 27. Juni zusammen im Mieterladen in der Kreuziger Straße gefrühstückt und am 2. Juli ist auch wieder in Berlin Zahltag.

Es gibt eine Mailingliste, die die Begleit-Aktionen koordiniert. Bei Interesse mitzumachen einfach melden, wir vermitteln gerne weiter!

Mehr über die ALSO in Oldenburg:
http://www.also-zentrum.de/allgemein/index.htm