Kein Faschingsspaß am 11.11.2011 in Warschau

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Blockade, Repression und rechte Massenmilitanz

Am 11. November 2011 beteiligten sich auch Berliner AntifaschistInnen an den Blockaden gegen einen Aufmarsch polnischer Nazis in Warschau. Hier ihr Bericht:

Seit mehr als einem Jahrzehnt marschieren polnische NationalistInnen jeglicher Couleur am 11. November durch Warschau. Als Anlass und politische Andockmöglichkeit an die gesellschaftliche Mitte dient ihnen der Jahrestag der Unabhängigkeit Polens, der auf das Ende des Ersten Weltkriegs zurückgeht. Auf ihrem so genannten „Marsch der Unabhängigkeit“ präsentiert sich die polnische Rechte hierbei, gerade in den vergangenen beiden Jahren, leider sehr bündnis- und mobilisierungsfähig. Eindeutig neofaschistische Organisationen geben sich dort mit patriotischen „Normalbürgern“, der äußerst militanten Hooliganszene, etablierten rechtskonservativen PolitikerInnen sowie klerikalen, antisemitischen, homophoben Strömungen die „Klinke in die Hand“. Aufgrund der verharmlosenden Selbstdarstellung als „patriotisch“, stieg dieses Jahr deren Teilnehmerzahl erschreckender Weise sogar auf bis zu 10.000 Personen.

Gegenproteste ließen jedoch nicht auf sich warten. Motiviert durch die erfolgreichen antifaschistischen Blockaden in Dresden, bemühten sich linke polnische AktivistInnen intensiv diesem nationalistischen (Massen-)Spektakel ein Ende zu setzen. Unter dem Motto: „Wir blockierten - Wir blockieren - Wir werden blockieren!" mobilisierte auch 2011 ein spektrenübergreifendes Bündnis wieder öffentlich zu Blockaden gegen den nationalistischen Aufmarsch. Breiter zivilgesellschaftlicher Protest wird in Polen aber vergebens gesucht. Bereits der Aufruf zur Blockade einer vermeintlich „patriotischen“ Demonstration, rief Entsetzen in der konservativen Medienlandschaft Polens hervor. In Verbindung mit der Ankündigung, dass sich zudem deutsche Antifa-AktivistInnen an den Gegenprotesten beteiligen werden, wurde der politische Skandal perfekt und die Blockadeidee diskreditiert.1 Trotz der medialen Hetze gegen die BlockiererInnen wurde weiter daran gearbeitet sich den NationalistInnen effektiv entgegenzustellen.

Interessanter Weise offenbarte der 11. November dann folgendes: Die NationalistInnen kamen nicht durch! Obwohl sich nur 2-3000 Personen an der Blockade beteiligten, was weit unter dem erhofften Mobilisierungspotenzial lag, konnte der zahlenmäßig überlegene „Marsch der Unabhängigkeit“ nicht durch die Innenstadt marschieren. Bereits um 12 Uhr blockierten mehrere Hundert AntifaschistInnen die wichtige Route der Nationalisten, nur hundert Meter entfernt von deren Auftaktkundgebung – Ein Erfolg! Dieser bleibt jedoch zwiespältig: Auf der einen Seite kann positiv festgestellt werden, dass die Blockade sehr entschlossen agierte und in ihr der Fokus darauf lag einen sicheren und verantwortungsvollen Rahmen für dortige TeilnehmerInnen zu bieten. Konfrontationen mit der Polizei wurden vermieden zu Gunsten eines vorher formulierten Aktionskonsenses. Außerdem präsentierte sich die Blockade nach außen geschlossen. Auf der anderen Seite waren aber der Erfolg und die Sicherheit der Blockade stark von dem Agieren der Polizei abhängig. Aufgrund der eigenen quantitativen Schwäche war es zu keiner Zeit möglich einen ausreichenden Selbstschutz für die Blockade zu organisieren, geschweige denn die Route der Nationalisten so zu blockieren, dass diese gar nicht mehr marschieren konnten. Nur die Tatsache, dass die polnische Polizei eine „strikte“ räumliche Trennung zur Auftaktkundgebung der NationalistInnen herstellte, garantierte den wirklichen Schutz der Blockade-TeilnehmerInnen.

Ausschlaggebend für die Auflösung bzw. Umleitung des nationalistischen Marsches war die eskalierende Situation während der Auftaktkundgebung. Die Einschränkung durch die antifaschistische Blockade erschien den Rechten als absolute Provokation. Ein Versuch hunderter NeofaschistInnen und rechter Hooligangruppen zur Blockade vorzudringen, um diese anzugreifen, scheiterte an den massiven Polizeiketten und deren Wasserwerfern. Die dadurch entstandene Straßenschlacht mit der Polizei demaskierte nicht nur den vermeintlich „normalen“ Charakter ihrer Demonstration, sondern verdeutlichte ebenfalls das gravierende Ausmaß rechter Militanz. In der Auseinandersetzung wurde neben diversen Feuerwerkskörpern, Wurfgegenständen und Eisenstangen, offenbar eine Axt gegen die Polizei eingesetzt.2 Die NationalistInnen griffen darüber hinaus die Blockade an und setzten zwei Übertragungswagen von TV Sendern in Brand. FotografInnen und MedienvertreterInnen wurden vom randalierenden Mob gezielt verfolgt und verletzt. Nachdem der nationalistische Marsch endgültig verboten wurde, machten marodierende Gruppen jagt auf AntifaschistInnen und Blockade-TeilnehmerInnen, wobei Polizei und nationalistische Gruppen dann offenbar „Hand in Hand“ arbeiteten - es wurden fast ausschließlich Antifas verfolgt und in Gewahrsam genommen.

Anders als in zahlreichen deutschen und polnischen Medien berichtet wurde, spielten Antifa-AktivistInnen aus Deutschland keine Rolle während der Straßenschlachten.3 Der Großteil des Berliner Konvois wurde nach Rangeleien mit einem Rechten kurz nach ihrer Ankunft, lange vor Beginn der Blockade und rechten Ausschreitungen, von der Polizei verhaftet. Insgesamt waren 92 Antifa-AktvistInnen aus Deutschland für 48 Stunden in Warschau inhaftiert. Die bizarren und angsteinflößenden Medienberichte über „deutsche Linksextreme“ im Vorfeld der Proteste, eröffneten offensichtlich ein sehr weites Feld für die Anwendung staatlicher Repression.

Der 11. November 2011 in Warschau ist somit kein Sparziergang gewesen und ist nicht eindeutig als politischer Erfolg zu bewerten. Ohne das Agieren der polnischen Polizei wären die Blockadeszenarien katastrophal für die dortigen TeilnehmerInnen ausgefallen. Es ist zwar gelungen den nationalistischen Aufmarsch entschlossen zu blockieren, dies wirkt sich wahrscheinlich positiv auf die innere Geschlossenheit und Motivation des antifaschistischen Bündnisses aus, aber anders als nach den gelungenen Blockaden in Dresden im Februar 2011, kann nicht davon ausgegangen werden, dass auch die Dynamik dieses nationalistischen Aufmarschs gebrochen wurde. Die allgemeine Schwäche linker Positionen und Organisationen auf der einen Seite sowie der politische Einfluss und die Hegemonie nationalistisch-patriotischer Ideen in Polen auf der anderen Seite, erschweren weiterhin die Delegitimierung völkischer und faschistischer Bewegungen. Es wäre schon als ein Zwischenerfolg zu bewerten, wenn die diesjährigen Blockaden dazu beigetragen haben, dass der „Marsch der Unabhängigkeit“ öffentlich nicht mehr als „normale“ Demonstration wahrgenommen wird und damit ein innerer Bruch in der polnischen Rechten in Bezug auf deren militante Fraktionen forciert wurde.

Es bleibt die Frage offen, wie unter diesen speziellen Rahmenbedingungen eine massentaugliche, vermittelbare und weitaus erfolgreiche antifaschistische Kampagne gegen einen der größten nationalistischen Aufmärsche Europas in Warschau 2012 etabliert werden kann?