Entrechtung gegen Zwangs- und Scheinehen?

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Kommentar der Intersol-AG zur Aufenthaltsgesetz-Novelle

Die Bundesregierung hat ein Gesetzespaket gegen Zwangs- und Scheinehen verabschiedet. Während sie vordergründig mit dem Schutz der Menschenrechte argumentiert, treibt sie damit die Entrechtung von Migrant_innen weiter voran und drängt diese damit tiefer in die Abhängigkeit.

Zwar revidiert die Regierung die bisherige zynische Regelung, die ein Rückkehrrecht von ins Ausland zwangsverheirateten Frauen bereits nach sechs Monaten erlöschen ließ, und erweitert diese Frist – unter der Voraussetzung der „Integrationswilligkeit“ – auf zehn Jahre. Jedoch zeigt sich, vor allem in dem Teil des Paketes, der sich gegen die „Scheinehe“ richtet, dass es mit der Sorge der Bundesregierung um die Rechte und das Wohlergehen migrantischer Ehepartner_innen nicht weit her ist: „Um den Anreiz zur Scheinheirat zu erschweren“, so die Bundesregierung, soll künftig die Mindestdauer der Ehe von bisher zwei auf drei Jahre erhöht werden. Erst dann soll beispielsweise der „ausländischen“ Ehepartnerin eines deutschen Mannes ein eigenständiges Aufenthaltsrecht gewährt werden. So, argumentiert die Regierung weiter, gewännen „auch die Behörden mehr Zeit zur Feststellung einer Scheinehe“.

Antirassistische Feminist_innen fordern seit langem zu Recht die Abschaffung der Regelung über die Ehebestandszeit (§ 31 Aufenthaltsgesetz), da diese bereits in ihrer bisherigen Form ein massives Machtgefälle zwischen dem deutschen (oder aufenthaltsrechtlich besser gestellten) Ehepartner und seiner „nachgezogenen“ Ehefrau schafft, um im oben angeführten Beispiel zu bleiben. Natürlich kann die aufenthaltsrechtliche Abhängigkeit ebenso zwischen einem ausländischen Ehemann und seiner deutschen oder rechtlich bessergestellten Ehefrau bestehen, ebenso innerhalb einer gleichgeschlechtlichen eingetragenen Lebenspartnerschaft. Der Frau wird es so unmöglich gemacht, eine gleichberechtigte Ehe zu führen, denn ihr Aufenthaltsrecht ist mindestens zwei Jahre lang an die Ehe gekoppelt. Kommt es zuvor zu einer Trennung, verliert die Frau ihren Aufenthaltsstatus. Da die gesetzliche „Härtefallregelung“ sich in der Praxis häufig als nicht sehr hilfreich erwies, werden auch Frauen, die in ihrer Ehe Gewalt erfahren mussten, in die Situation gedrängt, sich „entscheiden“ zu müssen, diesen Zustand weiter zu ertragen oder ihre Abschiebung zu riskieren. Statt diese völlig entwürdigende Regelung endlich abzuschaffen, erhöht die Bundesregierung die Mindestdauer der aufenthaltsrechtlichen Abhängigkeit von zwei auf drei Jahre.

Es lohnt also ein genauerer Blick, wenn die Regierung in migrationspolitischen Debatten auf menschenrechtliche oder frauenrechtliche Argumentationsmuster zurückgreift: Das Paket ist ein weiteres Beispiel dafür, wie Verschärfungen der Diskriminierung von Migrant_innen durch das Ausländerrecht durch vorgeblich fortschrittliche Ziele wie etwa die Erschwerung von Zwangsehen gerechtfertigt werden.

Werden in der deutschen „Integrationsdebatte“ Patriarchat, Sexismus, häusliche Gewalt, Zwangsehen und allerlei andere Scheußlichkeiten ausschließlich auf „die Anderen“ – nämlich die Migrant_innen, insbesondere die muslimischen Migranten – projiziert, so müssen vielmehr Rassismus und Sexismus als verschränkte Prozesse verstanden werden. Antirassistische und feministische Kämpfe miteinander in Verbindung zu bringen, breite Bündnisse zu schmieden gegen staatlichen und gesellschaftlichen Rassismus und Sexismus, auch wenn er sich in „feministische“ Argumentationen kleidet, sollte unsere Antwort sein.