Militante Untersuchung am Jobcenter Neukölln

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Schwerpunkt der AG Soziale Kämpfe

Seit 2006 war das Projekt „Mayday“ der Arbeitsschwerpunkt der FelS-AG Soziale Kämpfe. Nach langer interner Diskussion haben wir uns entschlossen, dass am 1. Mai 2010 in Berlin keine neue große Euromayday-Parade mit unserer Beteiligung durch Kreuzberg und die angrenzenden Kieze ziehen würde. Denn ein zentraler Aspekt, den der Mayday-Ansatz leisten sollte und dem er in den vier Jahren seiner Berliner Existenz unserer Ansicht nach nicht im ausreichenden Maße gerecht geworden ist, war die alltäglichen und verstreuten sozialen Kämpfe sichtbar zu machen, zu vernetzen, zu organisieren und in diese radikalisierend zu intervenieren. Im Anschluss an diese Erfahrungen, an das was wir mit dem Mayday erreicht haben und was nicht, haben wir intensiver über Organisierungsansätze und -perspektiven diskutiert, die über den engen Rahmen linksradikaler Organisierung hinaus gehen sollten und im konfliktreichen Alltag der Menschen ansetzen.

Als Konsequenz unserer Diskussion über Organisierungsansätze und -perspektiven haben wir uns verstärkt mit den Konzepten des Community-Organizings (entstanden in den 1940er Jahren in den USA) und der Militanten Untersuchung (rund um die autonomia operaia in 1960er Jahren in Italien entwickelt) auseinander gesetzt. Unsere Hypothese und Hoffnung war und ist, dass wir durch eine Kombination von Untersuchungs- und Organisierungsansatz gesellschaftliche Bruchlinien und Ansatzpunkte eines sozialen Widerstands im Alltag aufspüren und gleichzeitig eine Perspektive der Aktivierung und Organisierung einnehmen können. Wir wollen so einerseits Konflikte entdecken, ihre Dynamiken und neuralgischen Punkte, ihre Sprache und ihr antagonistisches Potenzial verstehen lernen und gleichzeitig versuchen, diese auszuweiten und aktiv an ihnen zu partizipieren.

Eine Lehre aus den Debatten über Prekarisierung war, dass wir einen gemeinsamen Ort brauchen. So haben auch wir uns, neben den Überlegungen zur Methode, die Frage gestellt wo, an welchem Ort, wir mit unserer Militanten Untersuchung ansetzen wollen. Denn eines haben wir bei der Auswertung verschiedenster solcher Untersuchungs-Anläufe gelernt: Ohne einen konkreten Ort, ohne einen Ort der Intervention und einen Ort des Zusammenkommens, reproduzieren wir den „Nicht-Ort“ der Ausbeutung, der konstitutiv für die Klassenfragmentierung im Postfordismus ist und reproduzieren damit auch unsere Unfähigkeit, das uns Trennende aufzuheben und Gegenmacht aufzubauen. Andererseits kann dieser Ort selbst nur ein sehr begrenzter Ausschnitt des Alltages einiger Menschen sein und nicht das „Ganze“ der Gesellschaft abbilden.

Das JobCenter ist für uns ein angemessener Ort um mit dem Ansatz der Militanten Untersuchung zu starten, denn einerseits sind nicht nur Bezieher_innen von Hartz IV als isoliertes soziales Segment „Betroffene“, sondern in diesem Sinne sind es alle Einkommensabhängigen, weil der Arbeitsmarkt wesentlich durch die Einführung der Agenda 2010 Reformen und dort vor allem Hartz IV neu strukturiert wurde. Die Akzeptanz von Niedriglohn und Leiharbeit inklusive Angst vor der eigenen Erwerbslosigkeit wurden mehr zum zentralen Moment der Herrschaft gemacht.

Unsere Umfragen auf dem Mayday und erste unsystematische Gespräche unter uns haben erkennen lassen, dass Hartz IV ein zentrales Regime ist, das unser aller Leben prekär macht. Viele müssen sich mit der Perspektive anfreunden, dass sie in absehbarer Zeit zumindest phasenweise Erwerbslosigkeit erleben werden. Gleichzeitig müssen sich auch diejenigen, die diese Perspektive nicht teilen, mit den durch Hartz IV verursachten Auswirkungen auf den gesamten Arbeitsmarkt auseinandersetzen. Projektarbeit, Billiglohn, befristete Beschäftigung, unbezahlte Praktika, Überstunden - es scheint, wir machen nahezu alles mit. Auf politischer Ebene kämpfen wir dagegen, auf der privaten nehmen wir es hin.

Im Zuge unserer Diskussion haben wir das JobCenter als Ort der permanenten Schikanen und Entrechtung, aber auch als Ort der permanenten sozialen Auseinandersetzung thematisiert. Was Erwerbslosen als individualisierte Probleme begegnet, ist nicht zuletzt eine Frage von Klassenmacht, die für alle Einkommensabhängigen von Bedeutung ist. Es geht um die Durchsetzung von sozialen Rechten in Zeiten von Krise und Prekarisierung.

Um gegen die mächtige Institution Jobcenter anzukommen, müssen wir uns gemeinsam stark machen, unsere Gemeinsamkeiten finden, uns danach befragen, Solidarität aufbauen, uns organisieren. Wir müssen uns Wissen über dieses Regime aneignen um ihre Macht zu verändern oder abzuschaffen.

Dazu laden wir ein bei uns mitzumachen, kommt zu unseren Versammlungen im Salvador Allende Haus, wir werden regelmässig auf die Termine hinweisen. Beteiligt euch daran Informationen zu sammeln, Gespräche mit JobCenter „KundInnen“ zu führen, lasst auch die Gespräche mit SachbearbeiterInnen nicht aus! Wichtig sind auch Gespräche von Leuten die (noch) nicht oder nicht mehr zum JobCenter gehen: Wie wirkt Hartz IV auf Euer Handeln, Euren Lebensentwurf, Eure Jobwahl usw.?

Wir haben vor dieses Wissen gemeinsam zusammen zu tragen, einiges oder möglichst vieles davon öffentlich zu präsentieren. Auch darin könnt ihr uns unterstützen: Webseiten bauen und/oder betreuen, Videos und/oder Podcasts produzieren (z.B. mit Interviews vorm JobCenter), Aktionen mit vorbereiten oder an Ihnen teilnehmen.

In diesem Sinne: Zusammen! Gegen das JobCenter Neukölln!

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