8. März 2012: Der internationale Frauenkampftag ist ein guter Anlass, sich genauer anzuschauen, was das zuständige Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend eigentlich so treibt. Nichts Erfreuliches, soviel steht fest: Zivilgesellschaftliche Initiativen geraten unter Extremismusverdacht1, nicht Rassismus, sondern „Deutschenfeindlichkeit”2 wird zum Problem erklärt und das Elterngeld für ALG-II-Empfänger_innen wurde schlicht gestrichen3...
Für Familienministerin Kristina Schröder – die auch zuständig ist für „Frauenpolitik“ – ist das nicht genug: Ihre neueste Erfindung ist das Betreuungsgeld, dessen Gesetzesentwurf derzeit zur Debatte steht. Das Betreuungsgeld richtet sich an Eltern, die während des zweiten und dritten Lebensjahres ihres Kindes keinen staatlichen Kita-Platz in Anspruch nehmen, sondern die Kinderbetreuung selbst organisieren möchten. Als finanziellen „Ausgleich“ bekommen sie dafür ca. 150 € gezahlt.
Dass Kristina Schröder nicht aus feministischer   Überzeugung  handelt, ist längst bekannt. Hinter Begriffen wie   „Wahlfreiheit“  versteckt sich ihre rechts-konservative Weltsicht. Grund   genug, sich  den Gesetzesentwurf mal genauer anzuschauen!
Vier Fragen zum Betreuungsgeld
Das Betreuungsgeld als Ausgleich für staatliche Leistungen?
Kristina    Schröder möchte dafür bezahlen, dass ein Kita-Platz nicht in Anspruch    genommen und damit eine staatliche Einrichtung nicht genutzt wird.  Zur   Verdeutlichung: Wir werden auch nicht dafür entschädigt, dass wir  ein   Schwimmbad oder eine Bibliothek nicht betreten. Das heißt: Das    Familienministerium entzieht sich dem staatlichen Auftrag, öffentliche    Einrichtungen und Infrastruktur zu schaffen, und in diesem Fall dem    Gesetzesauftrag, bis 2013 genügend Kita-Plätze für alle Kinder zu    realisieren. Die Rechnung ist einfach: Wenn Eltern Kita-Plätze nicht in    Anspruch nehmen, müssen auch keine weiteren geschaffen werden. Obwohl    80% der Bevölkerung das Betreuungsgeld ablehnen und sich mehr    Kita-Plätze wünschen – für den Staat ist das Betreuungsgeld billiger.    Von Ausgleich kann hier also nicht die Rede sein!
Das Betreuungsgeld als Anerkennung unbezahlter Arbeit? 
Die    Forderung nach Anerkennung von Haus- und Sorgearbeit ist eine alte    feministische Forderung. Klar ist, dass Kristina Schröder hier einiges    missverstanden hat. Anerkennung würde heißen, dass die Person, die für    diese Betreuungsarbeit bezahlt wird, auch gut davon leben kann. Das  gilt   für die Oma, die in Altersarmut lebt und ihre kaum vorhandene  Rente   aufbessern muss. Das gilt für die Kita-Angestellte, die  permanent   Überstunden leisten muss. Das gilt für die migrantische  Hausarbeiterin,   die befristete Aufenthaltspapiere hat und ungenügend  versichert ist.  Und  das gilt auch für die Mitbewohner_innen, die sich  für eine   Co-Elternschaft entschieden haben. Bei 150 € von Anerkennung  zu   sprechen, ist ein schlechter Witz. Davon kann kein Mensch leben,  egal ob   mit oder ohne Kind!
Das Ganze hat auch eine gesellschaftliche Dimension: Mehrheitlich sind "Frauen"4 diejenigen, die Haus- und Sorgearbeit leisten. Auf diese unbezahlte und unsichtbar gemachte Arbeit kann der Kapitalismus in seiner jetzigen Form nicht verzichten. Mit dem Betreuungsgeld verfestigt sich eine geschlechtliche Arbeitsteilung und mit ihr überkommene Geschlechternormen. Das mag im Sinne von Ministerin Schröder sein. Emanzipatorische Politik sieht aber anders aus!
Das Betreuungsgeld für alle? 
Noch  ist   ungeklärt, ob wirklich ALLE das Betreuungsgeld erhalten sollen.    ALG-II-Empfänger_innen stehen nicht nur beim Elterngeld, sondern auch    bereits bei der Vergabe von Kita-Plätzen hinten an. Wenn diese nun auch    vom Betreuungsgeld ausgenommen werden, führt die Ministerin ihre    sozialchauvinistische Politik fort. Ihre Vergabepraxis basiert auf einem    Leistungsprinzip, das Menschen selbst für ihre Situation   verantwortlich  macht. Zugleich öffnet sie damit Raum für andere   rassistische und  sozialchauvinistische Stimmen, die behaupten,   staatliche Gelder würden  „versoffen“ oder in die „Mitgift der   verheirateten Tochter“ gesteckt.  Schluss jetzt mit diesen Klischees! Es   muss eine finanzielle Absicherung  für alle geben, egal ob wir in   Lohnarbeit stecken oder nicht. Statt  selektivem Betreuungsgeld wollen   wir ein sicheres Auskommen – sei es in  Form eines Existenzgeldes oder   eines absichernden Einkommens für alle.
Das Betreuungsgeld als Wahlfreiheit? 
Um   Kinder  vor dem staatlich geförderten „Umerziehungsprogramm“ in    Kinderbetreuungseinrichtungen zu schützen, sollen Eltern ihre Kinder    auch zu Hause betreuen können. Schröder bedient mit ihrem Argument der    Wahlfreiheit nicht nur den rechts-konservativen Flügel der CDU/CSU,    sondern auch die selbsternannte „Mitte der Gesellschaft“. Dass es für    Kinder durchaus Vorteile hat, gemeinsam mit anderen Kindern erzogen zu    werden, wird dabei vergessen. Schröders Wahlfreiheit bedeutet die    Verfestigung von Geschlechternormen und heterosexistischen    Kleinfamilienarrangements. Ihre Wahlfreiheit bedeutet die Ausgrenzung    all derjenigen, die eine finanzielle Anerkennung am meisten bräuchten    oder schlicht keine Kleinfamilie im klassischen Sinn sind. Schröders    Wahlfreiheit bedeutet besonders für „Frauen“: Prekarisierung,    Altersarmut und Abhängigkeit vom „Partner“.  Besser wäre eine gerechte    Umorganisierung von Familien-, Lebens- und Arbeitsverhältnissen. Ganz    ehrlich, „Frau“ Ministerin, your "Wahlfreiheit" - my ass!
Wahlverwandtschaft statt Kleinfamilie! 
Das    Betreuungsgeld ist eine Neuauflage von staatlicher Förderung und    Privilegierung der heterosexuellen Kleinfamilie (Vater, Mutter, Kind).    Über finanzielle Anreize wird dieses Familienmodell privilegiert und  als   die normale Lebensform hergestellt. Gefördert wird eine   Arbeitsteilung,  die von zwei Geschlechtern ausgeht und diesen je   unterschiedliche  Aufgaben zuweist. Dabei wird auch unter den Tisch   gekehrt, dass  Kleinfamilien – als Kern der sozialen und ökonomischen   Ordnung –  machtvolle Institutionen sind, die die Aufrechterhaltung   einer  heterosexuellen Geschlechternorm ermöglichen. Die Trennung   zwischen  öffentlicher und Privatsphäre, die grundlegend ist für die    kapitalistische Gesellschaftsordnung, erschwert zudem die Thematisierung    von Gewalt in Familien. Denn häusliche und sexualisierte Gewalt in    Familen gilt bei vielen nach wie vor als "Privatangelegenheit". Die    Förderung dieser Familienform halten wir als QueerFeminist_innen daher    für reaktionär und nicht tragbar! Was wir brauchen, sind Wahl-Familien,    in denen wir unsere verschiedenen Lebensentwürfe und Begehrensweisen    umsetzen können! 
Her mit den vielfältigen Familien- und Lebensformen!
Wir wollen …
… keine Einführung des Betreuungsgeldes!
… die Gleichstellung aller Familienformen mit der Hetero-Kleinfamilie!
… kostenlose Kita-Plätze für alle! 
… ein tatsächliches Adoptionsrecht für Lesben, Schwule und Trans*!
… die Abschaffung von ALG-II!
… Existenzgeld für alle! 
… das schöne Leben! 
Jeder Tag ist Frauenkampftag!
Kommt     alle am 9. März 2012 ab 15:00 Uhr zur Mitmach-Kundgebung am     Spreewaldplatz! Wir haben die  Schnauze voll von Kristina Schröders   reaktionärer Familienpolitik. Wir  wollen eine Gesellschaft, in der die   Hetero-Kleinfamilie nur eine  Lebensform neben vielen ist! Wir wollen  am  Internationalen  Frauenkampftag mit euch über Realitäten und Utopien   von Familie  diskutieren: Wie stellst du dir Familie und Elternschaft   vor? Mit wem  möchtest du leben? Was steht dir dabei im Weg? Was nervt   dich an den  aktuellen Regelungen, wie z.B. Elterngeld oder   Betreuungsgeld? Wie  organisierst du deine Haus- und Sorgearbeit? Wie   könnte eine  emanzipatorische Familienpolitik jenseits von Schröders   Politik  aussehen? 
Komm vorbei!
Lasst uns gemeinsam Schröder dissen!  Und uns über unsere Kämpfe und Utopien austauschen!
INTERVENTIONISTISCHE LINKE (IL): Die IL hat ihre Ursprünge in der undogmatischen radikalen Linken in den 1990er Jahren in Deutschland. Ihr Themenspektrum reicht von Antifaschismus, sozialen Kämpfen bis zu Themen Antimilitarismus und Internationalismus. Öffentlich wahrnehmbar wurde die IL vor allem bei den Protesten in Heiligendamm 2007, bei der Aktion „Block G8“ oder später bei „Dresden Nazifrei“ und „Castor Schottern“. Die IL Berlin ist über folgende Email-Adresse ansprechbar: il-berlin@dazwischengehen.org [2]
- 1. EXTREMISMUSKLAUSEL = Seit 2011 müssen zivilgesellschaftliche Initiativen als Voraussetzung für den Erhalt von Bundesfördermitteln eine schriftliche Einverständniserklärung unterzeichnen, nach der sie sich verpflichten, im Rahmen ihrer Vereinstätigkeiten die Unterstützung "extremistischer" Strukturen auszuschließen und nur mit solchen Partner_innen zusammenzuarbeiten, die die "Ziele des Grundgesetzes" teilen.
- 2. „DEUTSCHENFEINDLICHKEIT“ = Ende 2010 erfand Kristina Schröder die "Deutschenfeindlichkeit" und bezeichnet diese höchstpersönlich als Rassismus. Diese Gleichsetzung ist falsch, da Rassismus ein Machtverhältnis beschreibt, das – solange sich die Dominanzverhältnisse nicht ändern – nicht einfach umgedreht werden kann.
- 3. STREICHUNG DES ELTERNGELDES FÜR ALG-II-EMPFÄNGERINNEN = Seit 2011 wird das Elterngeld bei ALG-II-Empfänger_innen angerechnet, d.h. es wurde de facto gestrichen.
- 4. „FRAUEN“ = Von „Frauen“ reden wir in Anführungsstrichen, um deutlich zu machen, dass Geschlechter gesellschaftlich gemachte Kategorien sind. Diese Kategorien „Frau“ und „Mann“ sind nicht nur mit vielen Klischees und Stereotypen verbunden, in ihnen drücken sich auch ganz reale Machtverhältnisse aus. Wenn es nicht um das spezifische Machtverhältnis geht, schreiben wir geschlechtsneutral: Mit einem Unterstrich, der Raum für Geschlechter fernab von "Frauen" und "Männern" lässt.
| Anhang | Größe | 
|---|---|
|  Aufrufflyer [4] | 1.02 MB | 
|  Plakat [5] | 247.72 KB | 

